Wieder einmal in Paris: Erstmals besuche ich mit der Liebsten die Bibliothèque nationale am Quai François-Mauriac. Über Holztreppen gelangen wir auf eine rechteckige Fläche, die von vier Glastürmen aufgespannt wird. In der Mitte klafft ein vier Fussballfelder grosses Loch, begrünt mit Nadelbäumen aus der Normandie.
Auf Empfehlung des Herrn an der Kasse begeben wir uns zuerst in die Halle mit den Coronelli-Globen, zwei Kugeln mit einem Durchmesser von vier Metern. Der dunkelblaue Himmelsglobus hält das Nachtbild fest, unter dem Frankreich 1638 „das grösste Geschenk erhalten hat, das der Himmel der Erde je gemacht hat“: Die Geburt des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV.
Zur Verewigung seines Namens gibt es auch andere Möglichkeiten: Seit der römische Kaiser Augustus die erste staatliche Bibliothek gegründet hat, schmücken sich Mächtige mit der Stiftung einer Bibliothek. Damals die römischen Kaiser, heute die amerikanischen Präsidenten. Auch die Nationalbibliothek an der Seine trägt den Namen eines Präsidenten: François Mitterrand.
Zur Wechselausstellung „Héros – d’Achille à Zidane“ marschieren wir durch endlose Gänge. Sie erinnern mich an die Erzählung „Die Bibliothek von Babel“. Der Verfasser Jorge Luis Borges war lange Jahre Direktor der Argentinischen Nationalbibliothek. Borges Bibliothek ist ein Universum mit einer unüberblickbaren Zahl sechseckiger Galerien. Gefüllt sind diese Bienenwaben mit allen Büchern, in allen Sprachen.
Der ganze Bienenstock hat die Form einer unendlichen Kugel, belüftet durch weite Schächte.
Durch sie öffnet sich eine grenzenlose Sicht in die unteren und oberen Stockwerke. Die Bücher der Bibliothek von Babel enthalten sämtliche möglichen Kombinationen der Buchstaben des Alphabets, also grösstenteils zusammenhangloses, unsinniges Zeug.
Spätestens hier drängt sich der Vergleich mit der heutigen Bibliothek von Babel auf: mit dem Internet. Bekanntlich haben nicht alle Zugang zu dieser ebenso totalen, wie total beliebigen Bibliothek: Ein digitaler Spalt geht durchs globale Dorf, kein Luftschacht wie bei Borges.
Gegen diese virtuelle Spaltung wirkt in der Schweiz ein Netz mit hunderten von realen Bibliotheken. Selten tragen sie klingende Namen, fast immer sind sie unersetzliche Kulturträger und Informationsdrehscheiben. Mit zielgruppenspezifischen Angeboten und Internet-Stationen locken sie vermehrt auch Bücher-Muffel in die gute Informations- und Kommunikationsstube.
Das Bundesamt für Kommunikation lanciert alljährlich den Wettbewerb „Ritter der Kommunikation“ (wo bleiben übrigens die Ritterinnen?). Unter dem neudeutschen Begriff der „e-Inclusion“ – der digitalen Integration – fördert er Beiträge zu einer Informationsgesellschaft für alle.
Doch zurück zur „Helden“-Wechselausstellung der Bibliothèque nationale: Da werden aristokratische, nationale und weltweite Helden von Gilgamesch bis Louis XIV, von Vercingétorix bis Charles de Gaulle und von Che Guevara bis Batman gezeigt. Unter einem Bild von Jeanne d’Arc fällt mir ein, wen ich in der Kategorie „Alltagshelden“ kollektiv für den nächsten „Ritter der Kommunikation“ nominieren möchte: die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der Schweiz.
Markus Kirchhofer ist Lehrer und Autor aus Oberkulm. Er ist Mitglied der Aargauischen Bibliothekskommission.