Einige Tage mit der Geliebten im winterlichen Prag. Im Gepäck Handschuhe, Bücher und Fotoapparat, im Kopf Václav Havel, Franz Kafka und Milan Kundera. Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ las ich einst deshalb, weil ich den Titel des Buches so geheimnisvoll fand.
Eine Inschrift am Gebäude neben unserem Hotel weist darauf hin, dass Kafka hier für die Arbeiterunfallversicherung arbeitete, eine Gedenkttafel am Altstädter Ring markiert sein Geburtshaus. Im Touristensog Richtung Moldau wieder Kafka: Auf Buttons, Pins und Kaffeetassen, schliesslich auf einem T-Shirt, angeboten von einer Verkäuferin mit dem Schriftzug „Czech me out“ über der Brust. Im einsetzenden Schneegestöber ziehen wir die Mantelkrägen hoch, halten uns enger und marschieren zur Karlsbrücke.
Im Bierlokal trinken wir Pilsener Urquell und essen Rindfleisch mit Semmelknödel, die in einer undefinierbar braunen Tunke zunehmend pampig werden. Studenten am Nebentisch machen uns darauf aufmerksam, dass im Nachbargebäude die „Charta 77“ ihre ersten Versammlungen abhielt. Heute leuchtet dort das Signet der „Deutschen Bank“. In Havels Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ lese ich, was zur Gründung des Bürgerforums führte: Das Verbot der psychedelischen Rockband „The Plastic People“.
Wie bitte, die „Plastic People“ haben den Sturz des kommunistischen Regimes herbeigeschrummt, die Stimme des Schriftstellers Havel zum Leadgesang der „Samtenen Revolution“ verstärkt, ihn zum Präsidenten der Tschechischen Republik hochgejubelt? Havel erklärt die Solidarität der bunten Charta-Gründerschaft in seinem Essay so: „Sie begriffen alle, dass der Angriff gegen den tschechischen Musik-Underground ein Angriff gegen das elementare und allerwichtigste ist, gegen das, was sie eigentlich alle verband: Gegen das „Leben in Wahrheit“, gegen die wirklichen Intentionen des Lebens.“
Zum letzten Mal verhaftet wurde Havel, als er öffentlich des Todestages Jan Palachs gedachte. Mitten auf dem Wenzelsplatz, wo Palach aus Protest gegen die russische Besetzung starb, erinnern ein Denkmal, Kreuze und brennende Kerzen an die Opfer des Kommunismus.
Gleich über die Strasse steht eine weisse Stretch-Limousine mit getönten Scheiben. Das „Darling Cabaret“ bietet Fremdenverkehr der besonderen Art: Als Autofahrt durchs postkommunistische Prag, „with beautiful girls“, jung wie Jan Palach, als er sich mit Benzin übergoss. Hinter dem Wenzelsplatz, in einer der spiegelglatt polierten Malls, wo dieselben Produkte wie in San Francisco, Paris oder Aarau angeboten werden, befindet sich das „Museum of Communism“. Auf der Treppe die Wegweiser: Nach links zum Kommunismus, nach links und rechts zum Casino.
Wieder zu Hause, tragen wir unser Gepäck über die Talstrasse, vorbei an einem eingeschneiten Wahlplakat. Die Partei, die das Volk im Namen trägt, präsentiert sich rechts auf einem Fussballfeld-Schema, die Namen der vier ernst zu nehmenden Gegner stehen links. „Stärken Sie unser Team. Damit der Aargau gewinnt. Damit die Schweiz gewinnt.“ Na ja, nicht sehr aussagestark, aber die tschechische Feriendistanz zieht einen unerträglich leichten Vergleich: Eigentlich beruhigend, dass bei uns politische Gegner mit Fussball-Parolen, nicht mit Selbstverbrennung oder Dioxin bekämpft werden.
Bereits beim Nachlesen der Zeitungen bringt mich ein Inserat aus der Ferienruhe. Ein Stammspieler der rechten Mannschaft blickt mir in die Augen und behauptet: „Ihr Vertretung im Grossen Rat, damit der Bezirk Kulm gewinnt“. Die orthografische Originalität belustigt noch, dass ich direkt angesprochen und fürs Volksteam vereinnahmt werde, nervt aber entschieden. Im Jargon: Ihr Vertretung im Grossen Rat? – Mein nicht!
Markus Kirchhofer ist Lehrer und Autor aus Oberkulm. Politik zählt nicht zu den wirklichen Intentionen seines Lebens.